Umstritten
Erinnerungen einer Deserteurin an die Waldheimat
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Der erste Jänner 1988 ist ein strahlend blauer Tag. Fahrzeugleer wie nach einem Neutronenbombenangriff rast die Westautobahn durch den Wienerwald. Mit schwer beladenem Auto und leichtem Kopf fahren wir Passau entgegen. Hinter uns aufgestapelt die letzte Fuhre unseres Hab und Guts. Die gerade erst nachgewachsenen Blätter einer mehrfach misshandelten Topfpflanze sind schon wieder abgebrochen.

Bald ist Österreich vorbei, eine beklemmende Erinnerung an den Großteil meines zurückliegenden Lebens. Wien ein schönes Gefängnis mit ekelhaften Zeitschriften, das zu verlassen ich längst aufgegeben hatte. Aber die Auswanderung hatte sich angekündigt noch ehe ich selbst etwas davon ahnte. Mein Freundeskreis wurde immer enger, mein politisches Umfeld zerfiel. Als Martin auftauchte, strebten die Linien meines Lebens in rasantem Tempo auf diesen einen Fluchtpunkt zu. Unsere Heirat eine Entscheidung, wie ich sie in dieser Unzweideutigkeit noch nie zuvor getroffen habe.  

Meine versuchte Nationalratskandidatur für die österreichischen Grünen im Herbst 1986 war ein letzter Anlauf, meinen politischen Weg geradlinig fortzusetzen. Es war ein Hasardspiel, das mir die Wahl zwischen zwei entgegengesetzten Lebensformen erleichtern sollte: dem Strudel der aktiven Politik auf einer aufregend neuen Bühne und der für mich ebenso aufregend neuen Zurückgezogenheit eines eher beobachtenden und analysierenden Lebens zu zweit. Der Ausgang war rückblickend klar gewesen: Eine radikale Feministin im österreichischen Parlament ist undenkbar. Besonders dann, wenn sich die Frauenbewegung nicht für ein solches Projekt interessiert. Mein Versuch, die neue politische Kraft der österreichischen Grünen zusammen mit einer schlagkräftigen Gruppe von jungen Frauen feministisch herauszufordern - für mich eine logische Konsequenz und Weiterentwicklung meiner bisherigen politischen Praxis in der Frauenbewegung - brachte mir aus den eigenen Reihen hauptsächlich Misstrauen, Feindschaft oder bestenfalls Desinteresse ein. Die  schon lange schwelende Entfremdung von den jungen Feministinnen machte einen Satz nach vorn. Alice Schwarzer erklärte mich bei einer Podiumsdiskussion in Wien zu einer Zeit zur "Parteifrau", als es überhaupt noch keine grüne Partei gab, und benannte so unwissentlich die Ausgrenzung aus der Frauenbewegung, die sich gerade vollzog.

Bei der Landesversammlung der Wiener Grünen im Oktober 1986 wurden zwei Frauen zu Spitzenkandidatinnen gewählt, ein eindeutiges Bekenntnis der Wiener Basis zu radikalen Positionen. Eine breite Solidarisierung mit uns, deren Eintritt ins Parlament sicher gewesen wäre, hätte die Diskussion um Feminismus, Quoten und  Frauenpolitik auf eine breitere Basis stellen kännen. Während die Frauenbewegung sich in Verratstheorien erging, waren diese Konsequenzen der grünen Führungsriege durchaus bewusst. Die in Wien konzentrierten Linken und Feministinnen unter den Grünen wurden putschartig ausgebootet, die Macher zogen mit einer antifeministischen Alibi-Frau an der Spitze ihr auf integrative Konsenspolitik abzielendes Konzept durch, Zustände wie in der bundesdeutschen Schwesterpartei wollte man sich in Österreich vom Anfang an ersparen. Mein "Marsch durch die Institutionen" war gleich zu Beginn gescheitert. Die Handvoll Frauen, die sich aus den anderen Bundesländern Erfolgschancen bei den Grünen ausrechneten, desolidarisierten sich, was ihnen außer einem schlechten Gewissen nichts eingebracht hat. Ob Feministinnen oder Kollaborateurinnen, die Frauen blieben außen vor und dürfen sich nunmehr mit den Krumen einiger öffentlich unbeachteter Vorstandsposten zufrieden geben. Linke Feministinnen sind bei den österreichischen Grünen nach wie vor nicht erwünscht. "Es kommen vorwiegend Frauen zum Zuge," schreibt die feministische Monatszeitschrift AN.SCHLÄGE, "die beharrlich auf dem weiblichen Anderssein insistieren, also voll auf die Ideologie der 'Neuen Weiblichkeit` abfahren und unreflektiert  Technologiefeindlichkeit, Spiritualität u.ä. vertreten". Die vorläufig letzte Chance für eine Lockerung der politischen Sitten und die Durchlüftung stickiger Männerherrschaft auf dem offiziellen politischen Parkett ist auf absehbare Zeit vertan. Die wenigen Kritiker/innen, die es etwa in Wien noch gab, arrangierten sich mit der vierten "politikfähigen" Partei als dem geringeren Übel, wandten sich mit Grauen von den Grünen ab und der Sozialdemokratie erneut zu oder gingen in die innere Emigration, um weiterhin im Kaffeehaus zu jammern, dem beliebtesten Wiener Zeitvertreib.  

Der Konflikt um Waldheim machte alles nur noch schlimmer. Die Reaktion, die lange genug auf ihre Chance warten musste, setzt sich seit der im November 1986 gebildeten Großen Koalition zwischen der Sozialistischen Partei (SPÖ) und der christlich-sozialen Volkspartei (ÖVP) mit atemberaubender Dreistigkeit durch. Dank der Vorreiterrolle einiger ÖVP-Politiker und Kirchenmänner ist der latent stets vorhanden gewesene Antisemitismus wieder aussprechbar geworden und bietet verknöcherten Altlinken die langersehnte Gelegenheit, sich im antifaschistischen Kampf zu profilieren, ohne in ihrem Denken und Fühlen von ausgetretenen Pfaden abweichen zu müssen.

Es ist ungeheuer leicht geworden, Oppositioneller zu sein.  Die Zeit ist vorbei, als auch Männer sich - und sei es nur verbal - für Frauen und gegen Sexismus einsetzten. Wir sind wieder einmal Nebenwiderspruch. Unverhohlene Sexisten wie der Bildhauer Alfred Hrdlicka und der "Schuldig geboren"-Autor Peter Sichrovsky sind heute die tapferen Helden der Nation. Positive Identifikationsfiguren wie der Medienmann Peter Huemer, der sich als Vertreter der aufrechten Österreicher im In- und Ausland großer Beliebtheit erfreut, erklären die Frauenbewegung für tot, sperren sie aus den Medien aus und nützen so ihre Macht im Sinne genau jener Reaktion, die sie zu bekämpfen vorgeben. Ein Zusammenhang zwischen  Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit wird nicht gesehen. Die Chance, im Zuge der durch Waldheim und das Gedenkjahr 1988 fällig gewordenen  kollektiven Vergangenheitsbewältigung Österreichs auch den frauenfeindlichen und antifeministischen Anteil des faschistischen Bodensatzes in unserem Land zu analysieren, wurde nicht ergriffen. Vielmehr wird alles getan, um die Kämpfe der Frauen als historisch überholt  erscheinen zu lassen.

Abgesehen von einigen sehr wichtigen Publikationen zum Schicksal jüdischer Frauen und Widerstandskämpferinnen in der NS-Zeit und einer überaus gut besuchten Veranstaltung des Frauenstaatssekretariats am 8.März hat es auch die Frauenbewegung versäumt, ihren Beitrag zur Waldheim-Debatte zu leisten.  1988 stand der Internationale Frauentag im Zeichen des 50-jährigen Gedenkens an den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Zu mehr als traditioneller Antifa-Rhetorik und einem bisschen Internationalismus reichte es nicht. Der Anteil der Frauen an der NS-Todesmaschinerie wäre ein interessantes Thema gewesen.

Inmitten der Diskussion um Waldheim, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit wird das ganze Repertoire an frauenfeindlichen Wendemaßnahmen fast unbemerkt durchgezogen: steigende Frauenarbeitslosigkeit, Lehrstellenmangel bei Mädchen, eine Pensionsreform zum Nachteil der Frauen, wachsende Armut alleinerziehender Mütter und alter Frauen, Budgetkürzungen bei Sozialprojekten, schärfere Kontrollen bei der Sozialhilfe, steigender Konkurrenzdruck auf Frauen in allen Bereichen. Politische Mandatsträgerinnen werden bei ihrem Ausscheiden durch Männer ersetzt.

Eine steigende Zahl von katholischen Familienberatungsstellen tritt an die Stelle der öffentlichen, denen das Geld ausgeht. Das einst "rote Wien" bekommt einen Weih- und einen Erzbischof von Opus Dei vorgesetzt. Die nächste Attacke gegen das 1975 beschlossene und stets halbherzig angewendete Fristenlösungsgesetz  bahnt sich an. Schon fordern ™VP und Kirche die Aufnahme eines Paragraphen zum "Schutz des ungeborenen Lebens" in das neue Jugendwohlfahrtsgesetz. Die bei der WAA-Anhörung im Juli 1988 stürmisch begrüßte Familien- und Umweltministerin Marilies Fleming weist Beratungsstellen gesetzeswidrig an, schwangere Frauen in ihrer Entscheidung "positiv" zu beeinflussen. Anlässlich des Papstbesuches in Österreich im Juni 1988 wird in Salzburg um 50.000 Mark ein 12 x 12 m großes Denkmal mit dem Titel "Imago Dei" aufgestellt, in das durch einen Sehschlitz peepshowartig Einblick auf einen drei Monate alten Fötus genommen werden kann. Aus Pietätsgründen, heißt es, sei man davon abgegangen, einen echten "Leichnam" zu verwenden.

Unter ungleich günstigeren Bedingungen als meine Eltern 1938 wandert die Tochter 50 Jahre später wieder aus. Eine Luxusemigration in die BRD, die meine jüdische Mutter nicht verstehen kann. Der erste Jänner 1988 ein ausgezeichnetes Datum, um zu desertieren: mein 45. Geburtstag.  Vor fast genau zwanzig Jahren bin ich - reichlich verspätet - von zuhause ausgezogen. Das Fieber der 68er Studentenbewegung erfasste mich damals als passive Zuschauerin und ebenso eifrige wie stille Mitdemonstrantin. Die Dominanz der männlichen Politsprache schüchterte mich ein, ohne dass ich damals artikulieren konnte, was mich störte. Die Frankfurter Tomate begeisterte mich, und als ich Anfang der 70er Jahre auf einen gemischten "Arbeitskreis Emanzipation" stieß, entschied sich mein weiterer politischer Weg. Meine Entwicklung vom schüchternen Mädchen, das alles wollte und sich nichts zutraute, zur feministischen Aktivistin, erfolgte rasch. Meine Begeisterung  für die afrikanischen Befreiungsbewegungen und mein Engagement gegen Rassismus, die Atombombe und den Vietnamkrieg mündete dort, wo es unter die Haut ging: bei mir selbst und bei den Gründen für mein Unbehagen in dieser Welt. Von mir selbst ist mein politisches  Engagement in die Welt zurückgekehrt,  gefestigter, aber nie mehr unter Ausklammerung meiner Person. Durch das Kriechen unter meine eigene Haut, zu der mich die Frauenbewegung gezwungen hat, habe ich begriffen, was  Unterdrückung heißt. Das Mitgefühl mit mir selbst und den Frauen hat mir Mitgefühl mit anderen gelehrt.

Genau dieser Weg über sich selbst fehlt den linken Männern, weshalb sich die politische Kooperation mit ihnen so überaus schwierig bis unmöglich gestaltet. Dass nach 15 Jahren feministischer Diskussion Österreich an medial sichtbarer Opposition nicht mehr anzubieten hat als einige autoritäre Realo-Grüne und ein paar abgehalfterte Anti-Waldheim-Helden ist ein Armutszeugnis für Linke und Frauenbewegung, aber auch das Ergebnis einer nur kurzfristig klugen Integrationspolitik der österreichischen Sozialdemokratie.

1978, als die autonome Frauenbewegung unübersehbar wurde, leitete der damalige Bundeskanzler  der sozialdemokratischen Alleinregierung Bruno Kreisky mit seinem berühmten "Paukenschlag" eine neue Ära sozialistischer Frauenpolitik ein. Zum Entsetzen seiner eigenen Parteigenossen setzte er vier Staatssekretärinnen ein, von denen zwei für Frauenfragen abgestellt waren.

Die dem Bundeskanzleramt angegliederte Staatssekretärin für allgemeine Frauenfragen, Johanna Dohnal, ist - nicht zuletzt wegen ihrer großen Beliebtheit bei den Frauen auch außerhalb ihrer Partei - immer noch im Amt. Sie hat drei Bundeskanzler überdauert. Ihre Annäherung an den Feminismus erfolgte allmählich. 1978 meinte Dohnal noch - wohl ganz im Sinne ihres Auftrags -, die feministische  Bewegung könne zwar in manchen Ländern "für manche Probleme ein Bewusstsein in der Öffentlichkeit schaffen", in Österreich jedoch hätte sie keine Chance, "weil es bei uns eine sozialistische Regierung und eine sozialistische Frauenbewegung gibt". Das ist zum Teil sogar wahr, hat es doch die SPÖ vorzüglich verstanden, ihre weiblichen Parteimitglieder mit Zuckerbrot und Peitsche bei der Stange zu halten. "Noch stärker mit den Männern" rufen viele auch heute noch, und wenn sich ihre Parteigenossen sexistische Entgleisungen leisten, schweigen sie verbissen.

1983 werden in einer Propagandabroschüre die Vorzüge der einst weltberühmten Wiener Gemeindebauten mit folgenden Worten gepriesen: "Peter hat einen guten Job und Sissi kann zu Hause für ihre Lieben sorgen, ohne der Doppelbelastung, der viele berufstätige Frauen unterworfen sind." Zum Glück sei Sissi Hausfrau "und kann die liebe Familie mit selbstgebackenen Süßigkeiten versorgen." Und 1987 wirbt Wiens sozialistischer Bürgermeister Helmut Zilk im Wiener Wahlkampf mit einem Film für sich, dessen Pointe darin besteht, dass zwei "Wiener Madln" im "Wahrzeichen von Wien", dem Riesenrad, die Röcke hochfliegen und zum Gaudium zweier junger Wien-Nostalgiker die Höschen sichtbar werden. Dennoch wird Zilk von der prominenten Journalistin Eva Deissen, die mit ihrer  täglichen Kolumne in der auflagenstarken "Kronen-Zeitung" sonst durchaus feministische Töne anschlägt, als einer gepriesen, der "immer schon für Gleichberechtigung war". Parteitreue, die meistens nicht unhonoriert bleibt, geht vor. 

Dohnal hat sich angesichts der bornierten Reaktionen der Männer in ihrer Partei, ganz zu schweigen von den Konservativen und den Medien, zu einer handfesten Feministin gemausert, die wesentlich dazu beigetragen hat, dass in Österreich überhaupt über Frauen geredet wird oder wurde, dass Frauenprojekte unterstützt werden oder wurden und es in fast allen neun Bundesländern Frauenhäuser gibt. Sie hat aber auch bewirkt, dass Feminismus mit Dohnal gleichgesetzt wird, und die Bewegung, der sie ihren Posten verdankt, eine klägliche Schattenexistenz im öffentlichen Ansehen führt. Viele Frauenprojekte erfüllen nur mehr die Aufgabe, die kaputten Frauen in aller Stille und möglichst umsonst zu reproduzieren, damit diese ihrerseits die kaputte Gesellschaft reproduzieren können. Die Frauenprojekte leisten so unter schwieriger werdenden Bedingungen Müllarbeit für die immer noch an der Regierung befindliche Sozialdemokratie.

Die SPÖ-Frauen bekommen als Dank für ihr Parteisoldatentum eine magere Quote von 25%, die überdies nicht ernst genommen wird.  Zur derzeitigen 12%-Beteiligung der Frauen am Parlament hat die SP™ wesentlich beigetragen. Im sozialistisch dominierten burgenländischen Landtag befindet sich heute keine einzige Frau mehr. Ende der siebziger Jahre gab es doppelt so viele Frauen in der Regierung als heute.

Mit Kritik konnte und kann die österreichische Sozialdemokratie immer schlecht umgehen, mit feministischer schon überhaupt. Deshalb wurde und wird alles getan, um störende Frauentöne erst gar nicht aufkommen zu lassen. Besonders beliebt ist die Diskreditierung der Frauenbewegung als männerfeindlich und bürgerlich. Diskussionen werden tunlichst verhindert. Als 1981 bei einem sogenannten "Frauenfest" der Sozialistischen Jugend Feministinnen aus Verärgerung über die Anwesenheit von Männern das Transparent "Frauenfest" abschnitten und sich einer Diskussion stellen wollten, wurde der Konflikt von den anwesenden Männern so gelöst, dass das Mikrophon abgeschalten und mit erhobenen Fäusten die "Internationale" abgesungen wurde. Bei öffentlichen Diskussionen und in den Medien werden, wenn Feministinnen unumgänglich sind,  bundesdeutsche Diskutantinnen eingeladen: Ich selbst war zum letzten Mal vor zehn Jahren bei der Talk Show "Club 2" zu Gast. Ähnliche Erfahrungen machen in Österreich alle qualifizierten und artikulationsfähigen Feministinnen. Unsere BRD-Schwestern Schwarzer, Mitscherlich, Janssen-Jurreit und Moeller-Gambaroff sind voraussehbarer; sie beschränken sich auf das vorgegebene Thema und äußern sich aus Unkenntnis oder Höflichkeit nicht zur österreichischen Innenpolitik. Wodurch sich der Eindruck bestätigt, dass es in Österreich keine eigenständige Frauenbewegung gibt.

Dieser Eindruck wird auch dadurch  erzeugt, dass Staatssekretärin Dohnal Diskussionen in der Frauenbewegung aufgreift und zu ihren macht. 1988 sind es zehn Jahre her, seit das erste von Dohnal unterstützte Frauenhaus in Wien den "Beginn der Enttabuisierung von Gewalt gegen Frauen" einleitete, schreibt die sozialdemokratische "Arbeiter-Zeitung", verliert aber kein Wort darüber, dass Gewalt gegen Frauen lange vor dem ersten Frauenhaus von der internationalen Frauenbewegung thematisiert und das erste österreichische Frauenhauskonzept von Feministinnen erarbeitet wurde. Besonders in Vorwahlzeiten versucht Dohnal jede öffentliche Präsenz von Feministinnen zu verhindern. Vor der Nationalratswahl 1986 misslang es ihr nur knapp, eine Diskussion an der Universität durch Ausschaltung zweiter Feministinnen zu einer reinen SP-Wahlveranstaltung umzufunktionieren. Den Part der Feministin sollte wieder einmal Alice Schwarzer übernehmen.

Doch die autonome Frauenbewegung hat es Dohnal auch leicht gemacht. Der Verlust an politischer Präsenz wird scheinbar wettgemacht durch Hilfestellungen des Staatssekretariats bei der Finanzierung von Frauenprojekten. Tatsächlich würde es viele Frauenprojekte ohne die ihrerseits bettelarme Staatssekretärin längst nicht mehr geben. Doch das bewirkt auch eine Entradikalisierung. Das in Österreich tiefsitzende obrigkeitsstaatliche Denken verbietet es, jene politisch anzugreifen, die am Geldhahn sitzen und den Projektfrauen ja auch Arbeitsplätze verschaffen. Viele junge Feministinnen ergehen sich in kritikloser Begeisterung für Johanna Dohnal und vergessen dabei die Partei, für die sie arbeitet und die zusammen mit ihrem konservativen Partner die politische, soziale und ökonomische Wende in Österreich exekutiert.

Andere wieder beziehen ihr Selbstbewusstsein aus einer unkritisch rigiden Ablehnung aller "Partei-Frauen" und deren Arbeit. Dasselbe obrigkeitsstaatliche Denken verhindert Bündnisse zwischen radikalen jungen Frauen und in öffentlichen Institutionen arbeitenden älteren Feministinnen. Das so gut wie nicht vorhandene Medienbewusstsein bewirkt, dass die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit feministischen Medienfrauen kaum wahrgenommen wird. Als mir aufgrund meiner nicht mehr genehmen feministischen und linken Positionen in aller Stille die Möglichkeit entzogen wurde, in einer traditionsreichen alternativen Zeitschrift weiterzuschreiben, versuchte ich durch einen Rundbrief an Frauengruppen und einzelne Frauen Widerstand zu mobilisieren. So viel mir bekannt ist, ging kein einziger Brief bei der Zeitschrift ein. Es wurde offensichtlich als mein Privatproblem angesehen. Mit wenigen Ausnahmen war ich seit Jahren die einzige, die - natürlich gegen minimale Bezahlung - in dieser Zeitschrift über Ereignisse in der Frauenbewegung berichtet hat. 

Die Heterogenität der je nach Standpunkt anders definierten Frauenbewegung und die immer punktuell bleibenden Kontakte mit den jeweils anderen Milieus erschweren eine verallgemeinerbare Einschätzung politischer Tendenzen.  Meine aus diesem Grund möglicherweise verzerrten und anderen Strömungen nicht gerecht werdenden Eindrücke von Teilen der Wiener Frauenbewegung erscheinen mir dennoch symptomatisch für deren Reaktion auf die politische Restauration, in der wir uns heute befinden.  Misstrauen vor Frauen, die nicht den eigenen Weg einschlagen, ist die vorherrschende "Beziehung" zwischen den verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen. Ein neuer Zugang, der Versuch, etwas anderes auszuprobieren, das abweicht von der "traditonellen" Frauenbewegungslinie, ja vielfach schon eine in der entsprechenden Untergruppe nicht konforme Kleidung, werden als Bedrohung wahrgenommen und mit Liebesentzug sanktioniert. Stattdessen wird bestenfalls auf die sich verschlechternden Verhältnisse reagiert. Welche Phantasielosigkeit spricht aus der Frage einer   AN.SCHLÄGE-Redakteuerin an eine Frau, die sich mit Gentechnologie auseinandersetzt: "Ich überlege mir, inwiefern die Gentechnologie auch eine Chance für die Frauenbewegung sein kann, so im Sinne von einem klaren Inhalt, der einen klaren Widerstand möglich macht: ähnlich wie bei der Abtreibungsfrage, wo die Frauenbewegung eine enorme Stärke entwickelt hat." Dank des Vormarsches der Reaktion sollte es ja bald viele solcher Themen geben, die einen "klaren Widerstand" möglich machen!

Gerade diese rigide Suche nach Klarheit und die Unfähigkeit, die Vielfalt  frauenpolitischer Ansätze zu respektieren und aus ihr Energie zu schöpfen, macht die derzeitige Schwäche der österreichischen  Frauenbewegung aus. Rigidität ersetzt Bewegung und gemeinsame Ansprüche an die Gesellschaft. Der zunehmende Druck der Männerwelt, die Brutalität der Frauenbilder, die uns umgeben, die berufliche Perspektivlosigkeit vieler junger Frauen und die zynische Ausgrenzung auch von Seiten jener, die einst potentielle Bündnispartner waren, führen  nicht zur Bündelung unserer Kräfte, sondern zu kleinlichen, missgünstigen Stellungskriegen und Intoleranz. Als eine, die die Anfänge wesentlich mitbestimmt hat, muss ich selbstkritisch eingestehen: Wir haben es in der Frauenbewegung nicht geschafft, ein Klima herzustellen, das konstruktive Kritik ermöglicht und die unterschiedlichen Lebensentwürfe und Lebensphasen der einzelnen Frauen achtet.

 Frauen, die vom real gar nicht existierenden idealtypischen Bild der Feministin abweichen, werden des Hochverrats geziehen. Das bewirkt, dass sich die älteren unter uns aus der immer engstirniger werdenden Bewegung zurückgezogen haben und ohne jede Hoffnung auf Solidarität als Einzelkämpferinnen weitermachen oder aufgeben. Als Folge dieser Kommunikationslosigkeit zwischen den Generationen verengt sich andererseits auch der Blick vieler institutionell eingebundener "Altfeministinnen" auf die Institution, der sie nunmehr eher dienen als sie für die Sache der Frauen und gegen die Institution selbst zu benutzen. Was das Misstrauen dann wieder rechtfertigt, zumal es viele gibt, die von ihren feministischen Wurzeln nicht allzu viel mehr wissen wollen, sobald sie zu Amt und Würden gelangt sind.

Aufgrund der gesellschaftlichen Ohnmachtserfahrung der meisten Frauen, ist ihr Umgang mit jenen Geschlechtsgenossinnen, die scheinbar an der Macht teilhaben,  angstbesetzt und irrational. Wenn die Macht der Institutionen dämonisiert wird, muss sich jede, die in den Tempel Eingang findet, dem Teufel verschrieben haben. Wenn ich als völlig rechtlose und unterbezahlte freie Mitarbeiterin des Österreichischen Rundfunks ein Interview mache, repräsentiere ich gleich den ganzen frauenfeindlichen ORF und muss mit einer entsprechenden Behandlung rechnen. Das hatte schlussendlich zur Folge, dass ich es tunlichst vermied, Themen zu behandeln, die die Kontaktaufnahme mit Frauen erforderlich gemacht hätten, die dem inneren Kern der Frauenbewegung zuzurechnen sind. Auf meine Weigerung, für ein Interview mit einer Arbeitsloseninitiative einen für mich nicht unerheblichen Geldbetrag zu zahlen, wurde mir trotzig erwidert: "Wir schaffen uns unsere eigene Öffentlichkeit." Ich habe gespendet und mich nie mehr an die Gruppe um Informationen gewandt. 

Der von mir selbst mitgetragene Anspruch eines verallgemeinerbaren von allen Frauen geteilten gesellschaftlichen Schicksals ist zum Mühlstein um den Hals der Frauenbewegung geworden. Kompetenz, Erfolg, Zugang zu Öffentlichkeit einer einzelnen werden nicht als Terraingewinn unserer kollektiven Anstrengungen, nicht als Herausforderung für andere Frauen gewertet, sondern als Schlag ins Gesicht jener, die es (noch) nicht geschafft haben. ("Ich kann mich eben nicht so gut verkaufen wie du.") Lust einzelner am Erfolg, an persönlicher Weiterentwicklung und an der Verunsicherung des Männerbundes beflügeln nicht, sondern signalisieren Verrat. Diese Gleichmacherei im negativsten Sinn des Wortes bewirkt einen beunruhigenden Realitätsverlust, der Klassen-, Bildungs- und Altersunterschiede außer Acht lässt. Die Forderung an eine Vierzigjährige, sich in ihrer Lebensgestaltung und in ihren Gefühlen nicht von einer Zwanzigjährigen zu unterscheiden, ist dumm, unsensibel und geht gerade jenem unreflektierten Jugendkult auf den Leim, der Frauen in unserer Kultur zum Verhängnis wird.

Parallel zu diesem mangelnden Respekt vor individuellen Lebensgeschichten, Leistungen und Entscheidungen beobachte ich bei den weniger radikalen, aber vom Feminismus sehr wohl wachgerüttelten Frauen Autoritätsgläubigkeit und Hilflosigkeit im Umgang mit gesellschaftlichen Analysen, die jede für sich in ihrem konkreten Leben umsetzen musste. Frauen neigen dazu, sagt Christina Thürmer-Rohr, nach Handlungsanweisungen zu verlangen: "Die Umsetzung - was soll ich tun? - wird wichtiger als der Begriffsinhalt, das Erkenntnisinteresse." Dabei sind Frauen auch sehr schnell bereit, ausführen zu wollen, was andere vorgedacht haben, "anstatt selber die Anstrengung zu übernehmen, mit den Mitteln des Denkens eigene Grenzen zu überschreiten."

Der Anspruch, der in Ermangelung einer lebendigen Bewegung an einzelne gestellt wird, Rezepte zur Lösung des patriarchalen Dilemmas anzubieten, ist natürlich eine totale Überforderung. Die Enttäuschung darüber, dass solche überzogenen Erwartungen nicht eingelöst werden können, hat in meinem Fall, wo ich jegliche Vorbildrolle durch hemmungslose Veröffentlichung meines "Privaten" stets abgelehnt habe,  zu einer sehr kränkenden Demontage meiner Person geführt, die nur durch die große politische Nähe möglich ist. "...mit welcher Rigorosität gegen Erica Fischer vorgegangen wird, finde ich beängstigend...Die Radikalität, mit der gegen sie vorgegangen wird, wäre besser am Platz im Kampf gegen Männer und Institutionen. Aber es ist offenbar immer noch leichter, sich gegenseitig die Augen auszukratzen, als die anzugreifen, die uns in Wirklichkeit unterdrücken", schreibt Gundi Dick in einem Leserinnenbrief an die AN.SCHLÄGE.

Solange das von mir veröffentlichte Private ein verzweifeltes war, schien diese praktische Umsetzung des feministischen Leitsatzes "Das Private ist politisch" auch eine durchaus akzeptable Vorgangsweise zu sein. Die positive individuelle Lösung, die ich für mich gefunden habe - mit 44 Jahren aus voller Überzeugung einen Mann zu heiraten, der meinen politischen Ansprüchen an Liebe, Arbeit und Politik so sehr entspricht, dass ich ihn, wie die doppelt Ehe-erfahrene und somit kompetente Katja Leyrer in einem Brief an EMMA anregt, "bei Wasser und Brot im Keller" einsperren müsste,  "damit mir ja auch keine andere ihn wegschnappen kann" -, hat mich aus dem Kreis der Leidenden ausgestoßen. KP-Feministinnen, die seit Jahr und Tag biedere Ehen führen, in denen Politisches und Privates feinsäuberlich getrennt wird, entdecken in meinem letzten Buch "neue Weiblichkeit", Jungfeministinnen wittern gar "patriarchales Fleisch" und missverstehen - durchaus mit Absicht - meine Erklärungsversuche als Propaganda für die Ehe. Was sonst immer gefordert wird, stört hier am meisten: mein Versuch, die individuellen und gesellschaftlichen Gründe für meine private Entscheidung öffentlich zu machen. "Hättest Du Dich nicht öffentlich dargestellt, hätte man Dir vorgeworfen, dass Du klammheimlich Wasser predigst und Wein trinkst", schreibt mir eine Freundin aus meiner Gymnasialzeit, keineswegs eine Feministin. Ich glaube vielmehr, dass die Vertreterinnen des reinen Lebens nur deshalb verärgert sind, weil ich meine Entscheidung nicht verschämt versteckt gehalten habe, denn ich bin ja schon lange nicht mehr die einzige Feministin, die in letzter Zeit geheiratet hat. Die Gründe dafür sind nicht nur in einem Verlust an feministischer Analyse und im Verrat an feministischen Prinzipien zu suchen, sondern in den Lebensbedingungen, die Frauen im Zeitalter der vollendeten "sexuellen Revolution" vorfinden. Nicht zuletzt auch, weil es uns, mindestens in der Wiener Frauenbewegung, nicht gelungen ist, ein Milieu zu schaffen, in dem sich alleinstehende,  älter werdende und nicht unbedingt lesbisch lebende Frauen emotional und politisch aufgehoben fühlen. Darüber zu reflektieren ist tabu. Das Ertragen von Widersprüchen, die, eben weil sie als Widersprüche ausgewiesen werden, keineswegs Beliebigkeit bedeuten, erscheint mir als ein wesentliches Kennzeichen für die Reife einer Bewegung.

Mein zweites halbes Jahr in der BRD ist angebrochen. Wir leben in maximaler gesellschaftlicher Isolation. Ich nehme an den politischen Debatten über die Medien teil. Wenn ich für einen Artikel recherchiere, verlasse ich kurzfristig meinen Kölner Bunker im fünften Stock, sauge auf und gebe wider. Meine gesellschaftlichen Interventionen erfolgen punktuell und isoliert. Jedes Monat zwei Kommentare, unregelmäßig erscheinende Artikel in diversen Zeitschriften, ab und zu ein Referat, mal in der BRD, mal in Österreich. Ich lerne mich tastend in den neuen gesellschaftlichen Verhältnissen zu orientieren. Die ethnische Durchmischung am Nippeser Markt lässt mich beim Einkaufen vergessen, dass ich mich in der BRD befinde, die Militanz der Kölner Polizei bei meiner ersten Demonstration gegen die Inhaftierung von Ingrid Strobl - mit der zusammen ich die ersten Gehversuche in der österreichischen Frauenbewegung gemacht habe -, holt mich wieder in die Wirklichkeit zurück. Obwohl ich dieselbe Sprache spreche, befinde ich mich in einer anderen Kultur und muss mir Zeit nehmen, in sie hineinzuwachsen. Die Ruhe nach all den hektischen Jahren tut gut. Die Zweisamkeit auch. Aber das Geld ist knapp. Als "Freie" mit gesellschaftlich unangepassten Inhalten stehen wir beide unter einem ständigen Produktionsdruck. Immer noch fehlt mir die Zeit, in den Jahren des Trubels ungelesen Gebliebenes nachzulesen. Es fehlen mir auch Freundinnen und die aktive Teilnahme an politischen Kämpfen. Manchmal bin ich ungeduldig, dass die Integration zu langsam erfolgt.  

Aber auch wenn das Telefon tagelang stumm bleibt, weiß ich mich doch - vorerst noch abstrakt - eins mit einer Frauenbewegung, die nicht vor nationalen Grenzen Halt macht. Meine bis jetzt noch sehr vereinzelten Kontakte mit bundesdeutschen Feministinnen sind wohltuend frei von historischen Belastungen. Durch die Medien vermittelte Blicke hinter die Kulissen lassen mich ahnen, dass dieses Privileg nicht ewig vorhalten wird. Wie Cora Stephan und Gertrud Koch mit Alice Schwarzer, und Alice Schwarzer mit Christina Thürmer-Rohr und Sybille Plogstedt, und Connie Filter mit Waltraud Schoppe umgehen, verschafft mir fast schon wieder heimatliche Gefühle. Neu zu beginnen, ein unbeschriebenes Blatt zu sein, hat zweifellos seine Vorteile.

Erschienen in: Hilke Schläger (Hrsg.): Mein Kopf gehört mir, Zwanzig Jahre Frauenbewegung, Frauenoffensive, München 1988