„Man kann's ertragen" |
Aus dem Autoradio dringen auf 102,3 MHz die mir vertrauten Klänge von Musik aus Mosambik. Ihre träge Leichtigkeit lässt das Elend des von Krieg und Hunger gebeutelten Landes vergessen. In Radio Dreyeckland läuft die Schiene "Internationale Musik". Die afrikanischen E-Gitarren verbreiten eine Stimmung wehmütiger Milde. Die sanften Hügel glitzern im spätsommerlichen Nachmittagslicht, das AKW Fessenheim ist weit. "Ich weiß nicht, was jetzt kommt", holpert eine dünne Stimme aus dem Radio, "vielleicht die Kulturredaktion. Ich schau mal nach, sonst lass ich einfach Musik laufen". Das offene Ansprechen des organisatorischen Problems in banalem Alltagsbadisch tut wohl in den Ohren. Auf 100,7 MHz gibt der Moderator von Radio Freiburg (FR1) in schnoddrigem Stakkato ein sexistisches Bonmot zum Besten. Danach ein Liedchen aus der deutschen Plattenkiste und das "aktuelle Radio": AEG, BASF, Bayer, Mannesmann, BMW, ... Die Sparkasse war "für mich" an der Frankfurter Börrse. "When you hear temptation come ..." dudelt es weiter. Nachdem die Badische Zeitung als dritte Bewerberin auf ihre Lizenz verzichtete, teilen sich das bis auf wenige Stunden täglich über Satellit von RTL gespeiste FR1 und das "freie" Radio Dreyeckland den Freiburger Privat„ther. Seit Verabschiedung des Landesmediengesetzes 1985 sind in Baden-Württemberg an die 50 lokale und regionale Privatradios mit Reichweiten von 15 bis 50 km auf Sendung gegangen. Die meisten sind miteinander vernetzt und strahlen dasselbe, nicht selbst produzierte Mantelprogramm mit kleinen Regionalfenstern aus. Es erfüllt vorwiegend die Aufgabe, attraktive Werberegionen zu erschließen. Viele der Kleinsender, die für die "regionale Vielfalt" zuständig waren, sind bereits eingegangen und von Bertelsmann, RTL und Burda übernommen worden. Die SPD glaubt, den "Marktgesetzen" nichts entgegenhalten zu können, die GRÜNEN fahren auf das "Infotainment" der Medienriesen ab. Inmitten dieses Umfelds sendet Radio Dreyeckland, als exotisches Pflänzchen und Überbleibsel aus einer anderen Zeit. Nicht wegen, sondern trotz Lothar Späth darf der im Kampf gegen das AKW Fessenheim gegründete Piratensender nach 11jährigem Ringen mit Polikern, Polizei und Gerichten heute aus seinem Mini-Studio am Gelände der ehemaligen Grether-Gießerei rund um die Uhr senden. Als die "Zulassung für die drahtlose Verbreitung eines Hörfunkvollprogramms" endlich erteilt wird, trifft es die RDL-Redaktion unvorbereitet. In einer improvisierten Sendung wird am 23. Juli 1988 die legale Radiozeit mit Sektpfropfengeknalle und Abspielen der "Internationale" eingeläutet. "Nehmt alle dieses Radio in euren Besitz, es gehört euch, und ihr werdet merken, es ist leicht und alle können es machen", erklingt die allen Freundinnen und Freunden von Radio Dreyeckland über die Jahre vertraut gewordene Stimme von Ursi Kollert mit hörbarer Rührung und unverkennbarem Schweizer "Q". Und Co-Moderator Holger Höffgen führt gleich vor, was alle Männer tatsächlich können: "Ja, das war Hildegard Knef ... es ist ein Gerücht, dass sie gerade ihre Glanzrolle angeboten bekommen hat - 'Sissy, Wechseljahre einer Kaiserin` - das ist nicht wahr ..." Was wird in "Friedenszeiten" aus Illegalen, die einst aus dem Wald sendeten, sich für Videoaufnahmen vermummten und ihr Radio mit den Körpern von DemonstrantInnen vor der Staatsgewalt schützen ließen? Wie sieht die "Gegenöffentlichkeit" von PiratInnen aus, die an Land gegangen sind? Nicht allen der seit dem "Radiofrühling" im April 85 von 40 auf 200 angeschwollenen - peinlich männerlastigen - RadiomacherInnen behagt eine solche Frage nach dem Gesamtkonzept, das sich in erster Linie negativ definiert: antikapitalistisch, antiimperialistisch, antisexistisch, antifaschistisch und seit dem letzten Sommerseminar auch antiklErical. "Ich setze mich für das Radio deshalb ein, weil ich merke, dass der Staat ein unheimliches Interesse an der Gleichschaltung hat", sagte seinerzeit ein Mitstreiter während des Radiofrühlings bei einer HörerInnenversammlung, "und so ist das Radio für mich von seiner Möglichkeit her interessant und schätzenswert und nicht so sehr von dem, was konkret rüberkommt." Mit einem Haushalt von 250.000 Mark im Jahr ein Vollprogramm von guter Hörqualität zu fabrizieren, erscheint langfristig unmöglich. (Das Berliner Radio 100 rechnet mit festen Kosten von 125.000 Mark im Monat.) Mehr als die Hälfte der Ausgaben gehen für Sende- und Lizenzgebühren an Post, GEMA und GLV. Die Hoffnung, ähnlich wie im benachbarten Ausland, Sondertarife für nicht-kommerzielle Sender durchzusetzen, erscheint vorerst unrealistisch. Die RadiomacherInnen arbeiten unbezahlt. Leisten können sich das vor allem StudentInnen, Arbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen oder aber ErbInnen. Für zehn Koordinations- und Administrationsstellen - darunter eine einzige Frau - gibt es eine Aufwandsentschädigung von unter 1000 Mark. Für Ausbildung, Schulung und die Betreuung des Gruppenradios fehlt das Geld, ein Manko, das nicht ernst genug genommen wird. Die Teilbezahlung redaktioneller Arbeit - etwa um auch schon am Morgen senden zu können - und die Diskussion um Zulassung von Werbung mit regionalem Bezug sind tabu. Die RDL-Leute sind stolz darauf, der einzige werbefreie Sender in der Bundesrepublik zu sein. Das Radio finanziert sich ausschließlich aus den Beiträgen der derzeit 2400 Mitglieder. "Ich bin sicher, dass mindestens die Hälfte auf der Stelle austreten würde, sobald der erste Werbespot über den Sender geht", meint ein Mitarbeiter der Musikredaktion. Die Suche nach Mitgliedern geht weiter, wirtschaftlich realistisch wird es ab einer Verdoppelung. Doch die Option für die Reinheit von kapitalistischen Einflüssen ist auch eine Entscheidung für politische Zurückhaltung. RDL kann es sich nicht leisten, das Gesetz zu missachten. "Wenn früher eine Hausbesetzung war, wurde über das Radio durchgegeben, dass Leute hinkommen sollen", erzählt Felix Forster vom Vorstand des "Freundeskreises Radio Dreyeckland", "jetzt heißt es halt: dort ist eine Fete, und es sind nur 50 Leute da. Das verstehen die dann schon". "Wir handeln nicht mehr, wir berichten", klagt Ursi Kollert. Im ersten Jahr seiner legalen Existenz hat RDL die Staatsanwaltschaft erst einmal beschäftigt. "Ich nehme das als Indikator, dass wir nicht allzu unangenehm sind", schließt Michel Menzel, Jurastudent, Jobber bei der Post und Vertreter der Redaktion in der RDL-Betriebsgesellschaft. Er diagnostiziert mangelnde Bereitschaft, gegnerisches Terrain angriffslustig zu betreten. "Radio ist ein Medium und nicht eine Befreiungsbewegung", rechtfertigt Traudel Günnel, Geschäftsführerin und Mitarbeiterin des täglichen Nachrichten-Sammelsuriums "Info", die Selbstgenügsamkeit der RadiomacherInnen, "du bist abhängig davon, was an tatsächlichem politischen Kampf da ist." Die Diskussion über das Scheitern des medienpolitischen Funkenschlags von Radio Dreyeckland, dem es nicht gelang, auf die ganze BRD überzugreifen, wird vom Siegestaumel über den eigenen Einzelerfolg erstickt. Die Suche nach Schauplätzen, an denen der Kampf im Alltag auch in Zeiten politischer Regression immer noch geführt wird, erfordert Neugierde und Offenheit für Lebens- und Aktionsformen, die den eigenen Horizont überschreiten. Gerade im ländlichen Raum wird das Radio oft als prim„re Informationsquelle genützt. Doch die Stimmen der Menschen aus dem südbadischen Raum, wo Arbeitslosigkeit, niedriges Lohnniveau und flexible Beschäftigungsverhältnisse die Arbeitswelt bestimmen, sind im Radio selten zu hären. Es gibt zwar wöchentlich eine Sendung für palästinensische Flüchtlinge in arabischer Sprache, nicht aber eine Sendung von und für ArbeitsmigrantInnen. "Wenn RDL bestimmte gesellschaftliche Fragen selbständig thematisieren würde", meint Menzel, "könnten wir fünfzehn Prozent der Bevölkerung erreichen". Meine eigene Straßenbefragung in der Freiburger Innenstadt ergibt, dass die Leute durchaus bereit sind, sich auf mangelnde technische Qualität und Professionalität einzulassen. "Das erwarte ich mir sogar von einem Regionalsender", sagt ein junger Jurist, der RDL im Auto einprogrammiert hat, "das ist viel offener". Und ein Rentner lobt, dass "man erfährt, was in der Umgebung los ist". Die "Debatten drum herum" hat er mitgekriegt. "Nach dem, was die Gegner gesagt haben, hab ich g'fürchtet, oje, was kommt denn da auf uns zu? Aber es ist nicht so schlimm, man kann's ertragen". "Wir wollen kein einheitliches Radio sein, wir sind ein Patchwork", drückt sich Frank Scheer von der 60-k”pfigen Musikredaktion wortreich vor einer politischen Standortbestimmung und bezeichnet die Lust am Radiomachen als einziges verbindendes Element, "ein bisschen exhibitionistisch ist es wohl auch". Während Günnel das Radio immer dann "toll" findet, wenn unterschiedliche Gruppen, "die sich alle irgendwie zur Linken zählen, aber manchmal durchaus konträre Positionen haben", durch ihre Beteiligung am Radio miteinander ins Gespräch kommen, ist "links" für den gewendeten Scheer eine "Schimäre", ein "überkommener Ausdruck". Über "ganz spezifische Musik, die in anderen Radios nicht läuft," will er junge Leute ansprechen und sie an "bewusstes Denken oder sowas" heranführen. Thema ist das Radio selbst: "Die Leute sollen die Musik mögen und sollen sich über die Tatsache, dass diese Musik nur bei uns geboten wird, Gedanken machen." Die Frage, was nichtkommerzielles Radio der Funktionalisierung von Musik in den Händen der Herrschenden entgegensetzen könnte, bringt den nicht mehr ganz jungen Jurastudenten auf die Palme: "Ich lasse jede Musik gelten. Nur durch die Tatsache, dass sie gemacht wird, hat sie eine Existenzberechtigung. Jede Musik ist Kunst. Es muss auch Dinge geben, die nur schön sind, ohne funktionalisiert zu werden. Wenn sich die Leute von Musik einlullen lassen, kann ich nix dagegen machen." Eine ernsthaft und leidenschaftlich geführte Debatte über den selbstgestellten Anspruch, kein Radio Valium zu sein, wäre eine Bedrohung für den losen Zusammenhalt des "Patchworks". Denn die in einzelne Fachredaktionen zersplitterte Gesamtredaktion macht Programm im Spannungsfeld zwischen Scheer einerseits, dessen Medientheorie sich mit dem Satz "Alles, was links ist, ist lustlos" zusammenfassen lässt, und den verkniffenen Superlinken andererseits, die genau wissen, wo es lang geht. Der Vergleich ihrer Produkte scheint vordergründig Scheers Position zu bestätigen: Während die erste Gruppe mit durchaus hörbaren, weil persönlich engagierten und lustvoll gemachten Sendungen aufwartet, ist Radiomachen für die zweite Gruppe eine politische Pflichtübung, die die gähnende Öde des linken Verlautbarungsjournalismus hervorbringt. Drittes hat keinen Platz. Keine zehn Tage vor meiner Ankunft in Freiburg wird eine von mir für einen öffentlich-rechtlichen Sender produzierte und RDL zur Verfügung gestellte Sendung ausgestrahlt. Sie behandelt eine internationale Konferenz jüdischer Feministinnen und lässt nahezu unkommentiert Jüdinnen aus aller Welt zu Wort kommen. Sie sprechen in leisen Tönen von ihrer Suche nach einer jüdisch-feministischen Identität in der Ära nach Auschwitz. Sie setzen sich mit der patriarchalen Tradition des Judentums, mit dem Antisemitismus in beiden deutschen Staaten, mit dem Krieg Israels gegen die PalästinenserInnen und mit ihrem Schmerz darüber auseinander. Der Beitrag endet mit "sol sayn", einer traurigen jiddischen Melodie, die in den KZs zum Hoffnungslied wurde. Ohne Beitrag und Musik abzusagen, holt die junge Moderatorin Edith Lass zu einem Rundumschlag gegen Feministinnen aus, die Rabbinerinnen werden wollen, gegen die patriarchale Hierarchie der jüdischen Religion (sie spricht stets von "Kirche"), gegen den Zionismus, der "assimilationswilligen Jüdinnen und Juden", die "in ihrer Heimat bleiben wollten, um gegen die Nazis zu kämpfen", die Unterstützung versagte. Und am Ende völlig unvermittelt: "Mensch muss also zwischen Antizionismus und Antisemitismus unterscheiden." Danach arabische Musik. Die sofort einsetzenden empörten Anrufe gehen nicht über den Sender, angeblich weil die Anrufer es nicht wünschen. Lass moderiert weiter. Die Freiburger Juden haben es verabsäumt, das Studio zu besetzen. Der Fall wird auf der meist spärlich besuchten Mittwochsitzung der Gesamtredaktion nicht zur Sprache gebracht. Bei szeneinternen Entgleisungen ähnlicher Art wehren sich die Betroffenen besser. Als ein Moderator der Heavy-Metal-Sendung von "schwuler Sau, "Miezen" und "Matratzen" spricht, bekommt er vorübergehend Mikrophonverbot, was in der Redaktion einen Emanzipationsprozess auslöst, weil die ewig zum Plattenauflegen Verdonnerten endlich auch zu Wort kommen. Als der Redakteur der Sendung "Stars & Hits" mit einem Flugblatt extrem sexistischen Inhalts für seine Sendung wirbt, besetzen die Frauen der Frauen- und Lesbenredaktion das Studio und erwirken für ihre Sendezeit Männerfreiheit im Studio. Wegen des geringen Interesses an einer redaktionsübergreifenden Sexismus-Debatte bestreiken die Frauen seither das Radio. Sie machen ihre eigene Sendung weiter, haben aber jeden Kontakt zur Restredaktion abgebrochen. "Eine theoretische Auseinandersetzung um den politischen Standort von Radio Dreyeckland findet schon lange nicht mehr statt", erklären sie. "Links - das mag für manche bedeuten, sich auf eine Vergangenheit als illegaler Sender zu berufen, für andere bedeutet es nur, Independant Labels zu spielen, wieder andere meinen, links ist, wenn es halt Spaß macht". Die Radiomacherin der ersten Stunde Ursi Kollert hat sich enttäuscht für einen "einsamen Rückzug" entschieden. "Das, was wir jetzt mit der Lizenz sind, ist eine völlige Verkennung dessen, was wir eigentlich sein sollten." Während früher die Leute wegen ihres politischen Engagements zum Radio kamen, ist heute das Radiomachen selbst zur politischen Arbeit geworden. Doch wenn die inhaltliche Orientierung fehlt, gewinnt das Althergebrachte an Boden. Jede Redaktion bewirtschaftet ihren eigenen Schrebergarten als Erbhof. Kollert: "In der Ökologie referieren Naturwissenschaftler, die Schwule Welle ist für andere Lebensformen zuständig, die Klassik-Sendung belehrt, in der Kultur wird experimentiert, in Heavy Metal gerotzt und im Sport schnell gesprochen. Wir rennen konventionellen Standards hinterher, ohne sie zu erreichen." Aus der Utopie des HörerInnenradios ist ein ziemlich rigides Programmschema geworden, das eine spontane Intervention von HörerInnen kaum zulässt. Kritische AnruferInnen werden nicht selten überheblich abgefertigt. Der Musikanteil beträgt über 50 Prozent, nicht eingerechnet die Musik, die in den Wortsendungen eingesetzt wird. Die interne Auflage, Musikstücke auszuspielen, setzt der Gestaltung von Beiträgen enge Grenzen und unterwirft sich überdies gedankenlos den Portionierungen der Musikindustrie. Wohl weil es für die MacherInnen zeitlich nicht anders zu bewältigen ist, gibt es statt einer Vielfalt von täglichen kürzeren Sendungen wöchentliche Blöcke von zwei Stunden. Die überreichlich vorhandene Sendezeit überfordert die unerfahrenen RedakteurInnen. Gleichzeitig werden Sendeplätze eifersüchtig verteidigt. Es fehlt der offene Kanal. Wer nirgends eingebunden ist und eine Sendung machen will, muss bei den einzelnen Fachredaktionen hausieren gehen. Nicht jede Sendung ist willkommen. Die zerstrittene lust- und frauenlose Internationalismus-Redaktion etwa fühlt sich in erster Linie für Nicaragua, El Salvador, Chile, Palästina, Südafrika und Euskadi zuständig, eine von Radio 100 angebotene Sendung über den Häuserkampf in New York lässt müdes Achselzucken aus. Der hastig durchblätterte Revolutionskalender gemahnt an den nächsten Gedenktag. Die RadiomacherInnen hören kein Radio. Zur "bürgerlichen" Öffentlichkeit bestehen Berührungsängste. Auch Gerti Oberle hat noch nie darüber nachgedacht, was RDL von SWF3 unterscheidet. Trotzdem versteht Gerti was vom Radio. Sie ist Sozialhilfeempfängerin, hat sich in der Schauspielerei versucht und macht seit einem Jahr in der Kulturredaktion mit. Was Radio Dreyeckland politisch will, weiß sie nicht. Für wen sie Radio macht, fragt sie sich nicht, "ich gehe eher von mir aus. Ich kann mich halt austoben. Ich kann eine Serie machen, die mir gefällt, meine innersten seelischen Ausbrüche in einem Hörspiel verbraten zum Beispiel". Gerti ist ein Glücksfall. Mit ihrem feinen Gespür für Hörbares setzt sie den Phantasielosen lebendige Sendungen entgegen, bei denen auch mal eine Frage offen bleiben darf. Gerti hat Lust an politischen Debatten. Sie kann nichts dafür, dass sie nicht stattfinden. Für diese gäbe es auch im Radio jeden Sonntag zwei Stunden Zeit. "Debatte: Studiodiskussion mit HörerInnenbeteiligung" steht im Programmschema. Wie spannend es sein kann, bewies eine Diskussion im Februar, als Traudel Günnel sich in der DKP Verbliebene und Ausgetretene ins Studio holte, um sie über Zustand und Zukunft der Partei diskutieren zu lassen. Doch Neugierde auf andere Positionen und Mut zur Kontroverse regen sich selten. "Zehn Jahre lang war das ein fixer Termin", ärgert sich Kollert, die als alleinerziehende Mutter immer schon zwischen Kind und Radio jonglieren musste, "jetzt in der Legalität fällt er regelmäßig aus". Aus Zeitmangel, heißt es. Der selbstgenügsame "Gewöhnungsprozess in schlechte Verhältnisse" (Menzel) ist das Ergebnis des Ausbleibens von Impulsen aus anderen Regionen und somit auch der Niederlage der bundesrepublikanischen Linken. Aber Ursi Kollert will sich nicht geschlagen geben, denkt immer noch an die Möglichkeit eines "Kampfes um die Enteignung von Frequenzen". Radio Dreyeckland führt zwar eine Randexistenz, aber es lebt. "Man darf das Radio nicht sich selbst überlassen", sagt sie und hofft auf Einmischung. Immer noch. Erschienen in: „Konkret“, 1989 Man kann’s ertragen © 1989 Erica Fischer |